Architekturfotografie – Aus Räumen Bilder machen
Abbildung von Geometrie, Wirkung von Perspektive und Proportion, Licht und Schatten sowie das Spiel mit Formen und Farben spielen in der Architekturfotografie eine grosse Rolle.
In diesem Blogbeitrag möchte ich Euch zeigen, wie Ihr an das Thema Architekturfotografie herangehen könnt und worauf Ihr beim Fotografieren achten solltet, um spannende Architekturmotive zu realisieren.
Warum Architekturfotografie?
Die wichtigste Frage zuerst: Warum möchte ich überhaupt ein Gebäude fotografieren? Geht es mir um das Gebäude als Objekt oder möchte ich ein künstlerisches, vielleicht sogar abstraktes Bild schaffen? Stark vereinfacht lässt sich die Architekturfotografie in diese zwei Ansätze teilen.
„Klassische“ Architekturfotografie ist meist geprägt von einem dokumentarischen Stil und zeigt ein Gebäude in der Regel in den korrekten Proportionen. Thema des Fotos ist das Gebäude an sich, ein Raum, eine Einordnung in eine Umgebung oder auch eine Detailaufnahme, z.B. von einem Handlauf.
Auch Cityscapes (also Stadtlandschaften) fallen inhaltlich, wenn auch als Sonderform, eher in diese Kategorie.
„Künstlerische“ Architekturfotografie bedient sich der Architektur meist in einer freieren Interpretation und nutzt die Formen und Farben, Licht und Schatten auf einer Geometrie, ein Muster oder einen Ausschnitt eines Gebäudes und setzt diese Elemente in einen neuen Kontext. So entsteht ein neues, eigenes Thema, welches nicht zwingend etwas mit dem eigentlichen Gebäude zu tun haben muss, sondern die Architektur als Träger der Aussage nutzt.
Bildkomposition – die richtige Perspektive
Der erste Schritt im Bildaufbau ist die Wahl der Perspektive. Diese hat einen enormen Einfluss auf die Wirkung und Darstellung des Gebäudes. Dazu gibt es folgende Möglichkeiten:
Die Zwei-Punkt-Perspektive, also ein Bildaufbau bei dem Fluchten in die Tiefe des Bildes an zwei Fluchtpunkten zusammenlaufen, betont Volumen, Vor- und Rücksprünge und zeigt ein Gebäude von 2 Seiten. Durch die unterschiedlichen Richtungen im Bild entsteht Dynamik und es ist einfacher eine Tiefenwirkung zu erzeugen. Je nach Abstand zum Gebäude werden die Fluchten immer steiler und „dramatischer“. Wenn ich also besonders nah, oder vor einem besonders hohen Gebäude stehe, verlaufen die Fluchten, z.B. von einem Dachrand, in einem sehr spitzen Winkel. Ist der Aufnahmestandpunkt weiter entfernt werden die Fluchten „flacher“ und dadurch neutraler.
TIPP: platziert euch bewusst in einem deutlichen Winkel zum Gebäude und zeigt bewusst zwei Seiten. Es muss kein 45° Winkel sein, bei einem zu flachem Winkel werden die Fluchten zu den 2 Fluchtpunkten aber sehr unterschiedlich, dies wirkt unausgewogen und verzerrt die Proportionen unvorteilhaft..
Die Ein-Punkt-Perspektive ist das Gegenstück dazu und hat entsprechend nur einen Fluchtpunkt für alle Kanten, welche in die Tiefe des Bildes verlaufen. Diese Ausrichtung betont besonders Muster und Strukturen, aber auch eine Staffelung von Fassaden in der Tiefe. Sie wirkt zwar etwas „flacher“, weil das Gebäude weniger als Volumen sondern beispielsweise eher als Fassadenfläche in Erscheinung tritt, dies kann aber die Bildwirkung beruhigen. Durch die zentrale Perspektive kann eine sehr intensive „Sogwirkung“ auf den einen Fluchtpunkt erzeugt werden.
TIPP: eine präzise Ausrichtung ist bei einer Ein-Punkt-Perspektive sehr wichtig. Ein Bild, welches eigentlich orthogonal auf eine Fassade ausgerichtet ist, aber leicht im Winkel abweicht, sorgt für zulaufende Linien die eigentlich parallel sein sollten. Diese Abweichungen sind schnell sichtbar und wirken unprofessionell.
Extrem wirkungsvoll ist die Ein-Punkt-Perspektive bei einem symmetrischen Gebäude. Die Symmetrie wird durch den einen Fluchtpunkt betont und erzeugt eine starke perspektivische Wirkung.
TIPP: Symmetrie gibt es auch in Form von Spiegelungen, z.B. auf Wasser oder glänzenden Oberflächen.
Ungeachtet der Perspektivenart sollte, vor allem bei klassischen Architekturbildern, darauf geachtet werden, dass die Vertikalen im Bild parallel sind. Dies sorgt für eine realistische Abbildung des Gebäudes und wirkt präzise und professionell.
Dafür ist es entscheidend, dass die Kamera „im Wasser“ ausgerichtet wird. Zeigt die Kamera nach oben (oder unten) „stürzen“ vertikalen Kanten, sie laufen also nach oben zusammen oder auseinander. Stürzende Linien kann man mit heutiger Software (z.B. Lightroom oder Photoshop) zwar effektiv begradigen, dies verzerrt aber das Bild und man verliert etwas an Bildqualität. Professionelle Fotografen verwenden daher Spezial Objektive (Tilt-Shift-Objektive), welche auch bei parallelen Vertikalen eine Bildkomposition ermöglichen, bei der das ganze Gebäude komplett im Bild bleibt.
Diese „Regel“ heisst natürlich nicht, dass man nur „geradeaus“ fotografieren darf, manchmal ist ein ungewöhnlicher Blick, z.B. nach oben, sehr spannend und sagt mehr über ein Gebäude als das „klassische“ Architekturbild.
Bildelemente – Leading Lines und Rahmen
Neben der grundlegenden Perspektive gibt es durch den Einsatz von verschiedenen Bildelementen die Möglichkeit aktiv und gezielt den Blick des Betrachters zu lenken. Dabei helfen insbesondere „Leading Lines“, die das Auge durch die Bildkomposition wandern zu lassen.
Rahmen können helfen die Bildkomposition zu fassen und den Blick auf das Zentrum des Bildes zu lenken. Diese Rahmenwirkung kann auf verschiedene Arten erzeugt werden – sei es eine Häuserfassade des Nachbargebäudes, ein Bauteil wie eine Stütze oder auch grosse Möbelstücke. Da das menschliche Auge tendenziell zu den hellen Bildbereichen wandert ist es zudem von Vorteil, wenn die rahmenden Elemente eher dunkel sind. Insofern könnte man auch eine dezente Vignette (also ein Abdunkeln der Bildränder) als Rahmen einsetzen.
Staffage und Strukturen
Nicht nur Elemente des gezeigten Gebäudes, sondern auch zusätzliche Objekte können gezielt eingesetzt werden um die Bildwirkung und die Wahrnehmung der Architektur zu beeinflussen.
Durch den Einsatz von „Staffage“ kann z.B. eine Grössenrelation geschaffen werden, insbesondere wenn es sich um vertraute Relationen wie eine Person vor einer Fassade handelt. Gleichzeitig kann Staffage auch eine inhaltliche Referenz zur Nutzung des Gebäudes schaffen, z.B. den öffentlichen Charakter durch viele Menschen stärken.
Gleichwohl gibt es Situationen, in denen der Verzicht auf zusätzliche Staffage die Bildwirkung stärkt, indem das Bild z.B. auf die Geometrie oder die Wirkung eines Materials reduziert wird. Vor allem bei Motiven, welche durch das Gebäude bereits sehr vielfältig, lebhaft oder unruhig wirken, kann eine zusätzliche Staffage das Bild überladen und die Bildwirkung schwächen.
Im Gegensatz zu diesen Einzelelementen, welche eher konkretisieren, kann man mit dem Einsatz von Strukturen, Mustern und Repetition ein Architekturbild abstrakter gestalten. Durch die Gleichmässigkeit wird eine sehr eingängige Bildwirkung erzeugt. Dies betont nicht nur die Gestaltungsintention des Architekten, sondern auch die bewusste Auseinandersetzung des Fotografen.
Besonders bei einem strengen Raster oder sehr gleichmässigen Strukturen kann eine Anomalie helfen das Bild aufzulockern und zusätzliche Spannung zu erzeugen. Das Brechen der Monotonie betont im Gegenzug sogar die Regelmässigkeit.
Kreative Architekturfotografie
So wie in allen anderen Fotografie-Genres gilt auch in der Architekturfotografie: „learn the rules and break them“. Der Reiz im Ablichten von Architektur liegt für mich darin spannende Blickwinkel zu finden, auf optimales Licht zu warten oder Bilder zu schaffen, bei denen erst auf den zweiten Blick ersichtlich ist, was man gerade betrachtet. Eine interessante Perspektive ist am Ende entscheidender, als perfekt parallele Vertikalen - wer aber das Handwerkszeug im Hinterkopf hat, kann sich auf die kreative Seite der Architekturfotografie konzentrieren und so technisch saubere, professionell wirkende Bilder erzeugen, welche den Betrachter in ihren Bann ziehen.
Sebastian Grundgeir
Sebastian Grundgeir lebt und arbeitet als Architekt und autodidaktischer Fotograf in Zürich. Seine fotografischen Schwerpunkte sind die Architekturfotografie sowie Landschaftsfotografie. Neben der Bergwelt und Schweizer Architektur, welche den Grossteil der Sujets ausmachen, beinhaltet sein Portfolio aber auch Projekte weit über den Alpenraum hinaus.
Neben seiner Tätigkeit als Architekt und Fotograf teilt er seine Begeisterung zur Fotografie in Workshops, hält Vorträge und betätigt sich als Juror bei Photoawards. Für den Swissphotoclub entwickelte er einen Fotokurs zum Thema Architekturfotografie und verrät dort alle Tips und Tricks für gelungene Architekturfotos.
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